Frage:
Wir beschäftigen uns als Gremium zum ersten Mal ernsthaft mit dem Thema der sexuellen Belästigung. Auslöser ist ein Vorfall, der sich in unserem Betrieb ereignet hat. Einen Prozess sowie eine Betriebsvereinbarung dazu gibt es bereits. In dem Fall wurde die sexuelle Belästigung bestätigt. Nun fragen wir uns: Wie hoch ist die Dunkelziffer? Wie können wir als Betriebsrat sexuelle Belästigung im Betrieb sichtbar machen, wenn wir vermuten, dass sie vorkommt, aber sich niemand offiziell beschwert?
Antwort:
Eine sehr wichtige und berechtigte Frage – denn sexuelle Belästigung wird häufig nicht gemeldet. Die Gründe reichen von Angst und Scham bis hin zu Misstrauen gegenüber dem Arbeitgeber oder den Kollegen. Es gibt verschiedene Wege, das Thema im Betrieb sensibel und wirkungsvoll zu erheben:
1. Eigene Mitarbeiterbefragung durchführen
In Absprache mit Arbeitgeber und Datenschutzbeauftragtem können Sie eine anonyme Umfrage initiieren. Mögliche Fragen lauten:
- Haben Sie im Betrieb schon einmal sexuelle Belästigung erlebt oder beobachtet?
- Wussten Sie, an wen Sie sich im Fall einer Belästigung wenden können?
- Fühlen Sie sich sicher, einen solchen Vorfall zu melden?
Lassen Sie sich bei der Formulierung der Fragen idealerweise durch eine Fachstelle oder eine Gleichstellungsbeauftragte beraten, um sensible Themen sachgerecht und rechtskonform anzusprechen.
2. Nutzung standardisierter Fragebögen
Wenn Sie wissenschaftlich fundierte Instrumente einsetzen möchten, stehen Ihnen z. B. folgende Fragebögen zur Verfügung:
- Sexual Harassment Inventory (SHI): Der SHI eignet sich als Grundlage für anonyme Befragungen im Betrieb und hilft dabei, ein erstes Stimmungsbild zur Relevanz des Themas sexuelle Belästigung zu erhalten.
- Berliner Fragebogen zur Erhebung von Belästigungserfahrungen: Er erfasst sowohl die Häufigkeit als auch die subjektiv empfundene Schwere von Belästigung – bezogen auf das Verhalten von Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten.
3. Integration in die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Das Thema „soziale Beziehungen“ ist ein Bestandteil der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG. Als Betriebsrat können Sie darauf hinwirken, dass auch sexualisierte Grenzverletzungen ausdrücklich als mögliche Belastungsfaktoren berücksichtigt und abgefragt werden.