AUFBAUWISSEN

Ein Fragerecht hat Ihr Dienstgeber nicht immer

Fragen kann man ja mal … Ist das die Devise für den*die Dienstgeber*in bei Bewerbungen und Einstellungen? Nein, so einfach nicht! Manche Dienstgebende sind bei der Einstellung ganz schön neugierig. Irgendwie ist es ja auch verständlich, dass man möglichst genau wissen möchte, worauf man sich einlässt. Das möchte man als Mitarbeiter*in bzw. Bewerber*in wohl grundsätzlich genauso wissen. Es gibt insoweit aber einen entscheidenden Unterschied zwischen Bewerber*in und Dienstgeber*in.

Michael Tillmann

19.05.2025 · 3 Min Lesezeit

Als Bewerber*in darf man im Grunde alle Fragen stellen. Natürlich sind die allgemeinen Gesetze einzuhalten. So darf z. B. niemand beleidigt werden – was sich von selbst versteht. Auch werden sich manche Fragen vielleicht nicht positiv auf die Einstellungschancen auswirken. Ansonsten aber ist man als Bewerber*in beim Bewerbungsgespräch keinen Schranken unterworfen.

Für den*die potenzielle*n Dienstgeber*in gibt es dagegen klare arbeitsrechtliche rote Linien, die er*sie nicht überschreiten darf.

Dienstgeber*in muss ein berechtigtes Interesse haben

Entscheidend für die Zulässigkeit einer Frage des*der Dienstgebenden ist, ob diese*r ein objektiv berechtigtes Interesse daran hat, diese Frage

  • zu stellen und
  • wahrheitsgemäß beantwortet zu bekommen.

Diesen generellen Grundsatz, der für alle Arbeitgebendenfragen gilt, hat die Rechtsprechung für einige typische Fragen schon sehr konkret ausbuchstabiert. Bei anderen Fragen bleibt hingegen noch eine mehr oder weniger große Ungewissheit.

Dennoch kann man mit diesem Maßstab einige Fragen schon ganz gut einordnen, wie in den folgenden Beispielen. Dabei leuchtet unmittelbar ein, dass es nicht nur auf die Frage an sich, sondern auch auf die Tätigkeit ankommt, mit der sie in Verbindung gebracht wird. Das verdeutlichen die nachfolgenden Beispiele.

Beispiel 1: Vorstrafe ohne Bezug zur Tätigkeit

Hubert P. war als Kraftfahrer im Fernverkehr tätig. Nachdem er diverse Male mit Alkohol am Steuer erwischt und deswegen auch verurteilt wurde, hat sich sein Arbeitgeber von ihm getrennt. Hubert P. überlegt sich, dass er eh die Nase voll hat von der ständigen Abwesenheit von zu Hause im Fernverkehr.

Er bewirbt sich daher als Lagerist. Bei der Einstellung verneint er die Frage, ob er jemals wegen Verkehrsdelikten verurteilt oder gegen ihn ermittelt worden sei.

Da der Arbeitgeber bei einem Lageristen kein berechtigtes Interesse an dieser Information hat, durfte Hubert P. lügen. Der Arbeitgeber wird nicht mit einer Kündigung oder Anfechtung durchkommen, wenn er von der Lüge erfährt.

Beispiel 2: Vorstrafe mit Bezug zur Tätigkeit

Nach einigen Monaten als Lagerist wird Hubert P. die neue Tätigkeit doch zu langweilig. Er möchte wieder „auf die Straße“ zurück. Allerdings geht ihm der Fernverkehr noch immer auf die Nerven.

Er bewirbt sich daher als Kurierfahrer. Das Kurierfahrzeug – ein kleiner Transporter – hält zwar keinen Vergleich mit seinem früheren stolzen Lkw aus, aber immerhin sitzt er wieder hinter dem Steuer und hat etwas Abwechslung. Bei der Einstellung verneint er wiederum die Frage nach den Verkehrsdelikten.

Da es um eine Tätigkeit als Fahrer geht, hat der Arbeitgeber hier ein berechtigtes Interesse an der Frage. Daher muss Hubert P. eine fristlose Kündigung und/oder eine Anfechtung des Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber fürchten, wenn die Sache auffliegen sollte.

AGG und Datenschutz sind besonders zu beachten

Besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der Datenschutz-Grundverordnung sowie dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zu.

§ 1 AGG verbietet eine Diskriminierung wegen eines der folgenden Merkmale:

  • Rasse
  • ethnische Herkunft
  • Geschlecht
  • Religion oder Weltanschauung
  • Behinderung
  • Alter
  • sexuelle Identität

Lässt sich eine Diskriminierung an einem dieser Merkmale festmachen, setzt dies den besonderen Mechanismus des AGG in Gang.

Interessant und vorteilhaft für Mitarbeitenden bzw. Bewerbenden sind dabei vor allem 2 Regelungen:

  1. Gemäß § 22 AGG müssen Sie als Mitarbeiter*in oder Bewerber*in eine Diskriminierung nicht nachweisen, sondern nur Indizien dafür vorbringen. Das kann eine erhebliche Erleichterung im Prozess darstellen. So reicht es z. B. aus, wenn eine Stellenanzeige nicht geschlechtsneutral formuliert ist.
  2. Eine weitere wichtige Regelung des AGG besteht darin, dass es nicht nur Schadenersatz, sondern auch Schmerzensgeld vorsieht (§ 15 Abs. 2 AGG („Entschädigung wegen Nichtvermögensschaden“)).

Bei Fragen zur Einstellung ist auch der Datenschutz vom*von der Dienstgebenden zu beachten. Gemäß § 26 BDSG dürfen personenbezogene Daten bei der Begründung von Beschäftigungsverhältnissen nur verarbeitet werden, wenn dies

  • entweder für die Begründung des Beschäftigungsverhältnisses selbst erforderlich ist
  • oder der*die Betroffene selbst zuvor seine Einwilligung erklärt hat.

Die Einwilligung hat grundsätzlich in Schriftform zu erfolgen, das heißt mit eigenhändiger Original-Unterschrift und nicht etwa per E-Mail.

Konsequenz: Recht zur Lüge oder Anfechtung

Die Einordnung in zulässig oder unzulässig ist entscheidend für die arbeitsrechtlichen Konsequenzen einer solchen Frage.

Ist eine Frage unzulässig, gesteht die Rechtsprechung dem*der Mitarbeiter*in bzw. Bewerber*in ein Recht zur Lüge zu. Das ist im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes sinnvoll und notwendig. Denn müsste eine Bewerberin etwa auf eine Frage nach der Schwangerschaft antworten: „Hierzu berufe ich mich auf mein Auskunftsverweigerungsrecht“, könnte und würde der*die Dienstgeber*in in der Praxis natürlich den naheliegenden Schluss ziehen, dass eine Schwangerschaft vorliegt, und von einer Einstellung ggf. absehen.

Sagt man hingegen auf eine zulässige Frage die Unwahrheit, kann der*die Dienstgeber*in den Dienstvertrag anfechten.

Arbeitshilfen

  • Übersicht: Typische Fragen bei der Einstellung

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Seit mittlerweile mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich mit dem Arbeitsrecht von A wie Abmahnung über K wie Kündigung bis Z wie Zeugnis. Gesetzgeber und Rechtsprechung sorgen dafür, dass […]

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