SCHWERPUNKTTHEMA

Das sollten Sie zur betrieblichen Übung in Ihrer Behörde wissen

Ob Urlaubsgeld, Fahrtkostenzuschüsse oder zusätzliche Pausenzeiten: Nicht jede regelmäßig gewährte Leistung ist im öffentlichen Dienst gesetzlich, tariflich oder durch Dienstvereinbarung geregelt. Oft entstehen im Laufe der Zeit Gepflogenheiten, die zwar nie offiziell beschlossen wurden, von den Beschäftigten aber als selbstverständlich empfunden werden.

Maria Markatou

23.05.2025 · 6 Min Lesezeit

Hier kommt die „betriebliche Übung“ ins Spiel. Was in der Privatwirtschaft als etabliertes Instrument der Rechtsbindung gilt, ist im öffentlichen Dienst ein juristisch vermintes Gelände – und für Personalratsmitglieder ein Thema mit besonderer Sprengkraft.

Da gewährt Ihr Dienstherr Jahr für Jahr seinen Mitarbeitern bestimmte Sonderleistungen und stellt dann fest, dass die Mitarbeiter diese Sonderleistungen jetzt als Anspruch plötzlich einfordern. Das kann tatsächlich passieren, denn es liegt dann oft eine betriebliche Übung vor.

Die Definition des Bundesarbeitsgerichts (BAG) lautet so (23.8.2017, Az. 10 AZR 136/17): Eine betriebliche Übung ist die

  • regelmäßige Wiederholung
  • bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers,
  • aus denen die Arbeitnehmer schließen können, dass ihnen eine Leistung oder eine Vergünstigung
  • auf Dauer eingeräumt werden soll.

Doch hier wird es kompliziert: Im öffentlichen Dienst gelten Besonderheiten, die eine unmittelbare Übertragung dieser Grundsätze erschweren. So unterliegen Leistungen und Maßnahmen in Dienststellen strengen gesetzlichen und tariflichen Vorgaben. Beamtenrechtliche Bindungen, das Haushaltsrecht sowie die Tarifbindung der öffentlichen Hand setzen enge Grenzen.

Anders als im privatwirtschaftlichen Bereich sind Dienstherren und Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes nicht frei in der Gestaltung ihrer Leistungen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlangt, dass Leistungen auf einer rechtlichen Grundlage beruhen. Daraus ergibt sich: Eine betriebliche Übung darf nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen – sei es das Haushaltsrecht, tarifliche Vorschriften oder beamtenrechtliche Regelungen.

Beispiel: Fälle aus der Praxis

Einige typische Konstellationen, mit denen Personalratsmitglieder konfrontiert werden können:

  • Jährliche Sonderzahlung trotz fehlender tariflicher Grundlage: Wird eine zusätzliche freiwillige Zahlung wiederholt geleistet, kann dies Erwartungen wecken. Doch bei fehlender tariflicher/gesetzlicher Grundlage droht ein Verstoß gegen das Haushaltsrecht.
  • Zusätzliche Pausenregelung: Wenn über Jahre hinweg die Pausen großzügiger gewährt werden als tariflich vorgesehen, kann sich daraus eine betriebliche Übung entwickeln – sofern keine beamtenrechtlichen Regelungen entgegenstehen und der Dienstbetrieb nicht beeinträchtigt wird.
  • Regelmäßige Heimarbeit ohne formale Vereinbarung: Auch im Rahmen flexibler Arbeitszeitmodelle oder Telearbeit kann sich eine betriebliche Übung herausbilden – sofern dies nicht bereits durch Dienstvereinbarungen oder allgemeine Regelungen abgedeckt ist.

Aus solchem als Vertragsangebot zu wertendem Verhalten des Dienstherrn, das von den Arbeitnehmern regelmäßig stillschweigend angenommen wird nach § 151 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen für die Zukunft.

Beispiel: Eine betriebliche Übung entsteht

Der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde gibt seit der Eröffnung des neuen Rathauses vor 5 Jahren den Mitarbeitern an Heiligabend und Silvester frei, von den Ordnungsbehörden einmal abgesehen. Nun möchte er in diesem Jahr an diesen Tagen öffnen, weil auch in den Nachbargemeinden geöffnet ist und im Jahr 2025 Heiligabend und Silvester mitten in der Woche auf einen Mittwoch fallen. Die Folge: Das ist ein Fall, in dem eine betriebliche Übung entstanden ist. Der Bürgermeister hat hier einen Vertrauenstatbestand geschaffen, von dem er nicht mehr so leicht abrücken kann.

Durch die stillschweigende Annahme der Leistung entstand ein vertraglicher Rechtsanspruch für die Arbeitnehmer, sofern der Dienstherr sich die Einmaligkeit und die Freiwilligkeit der gewährten Leistung nicht vorbehalten hat.

Die Wirkung der betrieblichen Übung

Die betriebliche Übung hat die gleiche Wirkung wie ein Vertrag und wird Bestandteil des Einzelarbeitsvertrags.

Wie oft ein Vorgang wiederholt werden muss, dass eine betriebliche Übung entsteht, ist nicht definiert. Allgemein wird jedoch schon lange eine 3-malige Gewährung vonseiten des Arbeitgebers als rechtsverbindlich angenommen (BAG, 1.4.2009, Az. 10 AZR 393/08).

Grundsätzlich kann eine betriebliche Übung bei allen Zahlungen, Leistungen und sonstigen Vergünstigungen entstehen, die auch arbeitsvertraglich vereinbart werden könnten. Besonders in den folgenden Bereichen kann schnell eine betriebliche Übung vorliegen:

  • Arbeitszeitregelungen
  • Gratifikationen, Jubiläums- oder Weihnachtsgeld
  • Vergütung von Bereitschaftsdiensten
  • Essens- und Fahrtkostenzuschüsse
  • Versorgungszusagen
  • Nichtanrechnung von Tariferhöhungen auf freiwillige Zahlungen
  • Gewährung von Freizeit an Heiligabend, Silvester, Rosenmontag und Brauchtumstagen
  • Freistellung von der Arbeitspflicht an Geburtstagen
  • Duldung der privaten Nutzung dienstlicher Telefonanschlüsse und IT-Systeme, sowie bei der
  • Zahlung von Trennungsentschädigungen

Vertrauenstatbestand wichtig

Entscheidend für den Rechtsanspruch aufgrund einer betrieblichen Übung ist nicht, was Ihr Dienstherr will. Es kommt allein auf Ihre Sicht und die Ihrer Kolleginnen und Kollegen an.

Das bedeutet, dass bei den Mitarbeitern ein Vertrauenstatbestand entstanden sein muss. Entscheidend ist, wie die Mitarbeiter das Verhalten Ihres Dienstherrn nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen durften.

Voraussetzung ist also zunächst ein bestimmtes Verhalten Ihres Dienstherrn. Mit diesem Verhalten müssen zusätzliche Leistungen oder sonstige für Mitarbeiter vorteilhafte Vertragsänderungen angekündigt werden. Das Verhalten wird dabei als Vertragsangebot ausgelegt, das von den Mitarbeitern stillschweigend angenommen wird nach den §§ 133, 151 BGB.

Die Grenzen der Rechtsprechung

Es gibt aber auch ganz konkrete Grenzen, die die Rechtsprechung zum Grundsatz der betrieblichen Übung entwickelt hat. So bestehen Forderungen aus einer angeblichen betrieblichen Übung nicht, wenn die Leistungen für die Mitarbeiter erkennbar aufgrund einer bestehenden Rechtspflicht erbracht werden.

Auf der anderen Seite können Ansprüche aus betrieblicher Übung entstehen, wenn Ihr Dienstherr solche Leistungen irrtümlicherweise gewährt hat, weil er davon ausging, hierzu vertraglich verpflichtet zu sein, obwohl das objektiv gar nicht der Fall ist.

Das ist nur dann anders, wenn der Irrtum für den Arbeitnehmer erkennbar war, wenn die Zahlung also auch aus Sicht des Arbeitnehmers zur Erfüllung (vermeintlicher) Ansprüche aus Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder einer Dienstvereinbarung erfolgte.

Beispiel: Irrtümliche Zahlung – keine betriebliche Übung

Über Jahre hinweg zahlte der Dienstherr Feiertagszuschläge für den Ostersonntag, und zwar in der irrtümlichen Annahme, der Ostersonntag sei ein gesetzlicher Feiertag. Die Arbeitnehmer waren ebenfalls der Auffassung, der Ostersonntag sei ein Feiertag. Folge: In diesem Fall besteht kein Anspruch aus betrieblicher Übung, denn für die Arbeitnehmer war erkennbar, dass der Arbeitgeber glaubte, den Feiertagszuschlag auf der Grundlage des Tarifvertrags zahlen zu müssen (BAG, 17.3.2010, Az. 5 AZR 317/09).

Passen Sie als Personalrat hier auf

Ihr Dienstherr könnte an Sie herantreten, um eine betriebliche Übung auszuschließen. Da sollten Sie als Personalrat hellhörig werden.

So könnten Sie einfach in einer Dienstvereinbarung regeln, dass Ihr Dienstherr sich dazu verpflichtet, jährlich das Gehalt der Mitarbeiter zu überprüfen und auf diese Weise mehrfach Gehaltserhöhungen nach denselben Kriterien vorzunehmen. Nach der getroffenen Dienstvereinbarung besteht dann lediglich die Pflicht, die Voraussetzungen für eine Gehaltserhöhung zu prüfen. Sofern diese nicht vorliegen, ist die Dienststelle auch nicht verpflichtet, eine Anhebung der Vergütungen wie in den vorangegangenen Jahren vorzunehmen.

Wie eine betriebliche Übung wieder abgeschafft wird

Betriebliche Übungen wieder abzuschaffen, ist ein aufwendiges und schwieriges Unterfangen. Es ist längst nicht mehr so, dass hierzu ein 3-maliges anderes Zahlungs- oder Leistungsverhalten die betriebliche Übung wieder entfallen lässt.

Das Problem: Betriebliche Übungen geben dem Arbeitnehmer die gleichen Rechte wie vertragliche Ansprüche. Grundsätzlich ist deshalb nur bei ausdrücklicher Zustimmung des Mitarbeiters eine Änderung zulässig. So sollen die Arbeitnehmer geschützt werden vor stillschweigenden Vertragsänderungen.

Möchte Ihr Dienstherr eine betriebliche Übung für die Zukunft wieder abschaffen, geht dies nur noch durch

  • eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags mit Ihrem Kollegen oder
  • eine Änderungskündigung.

Ihre Handlungsspielräume als Personalrat

Hier haben Sie als Personalrat eine doppelte Rolle. Einerseits gilt es, die berechtigten Interessen der Beschäftigten zu schützen, andererseits müssen Sie auf die Rechtmäßigkeit achten. Daher empfiehlt es sich, folgende Grundsätze zu beachten:

  • Frühzeitig Klarheit schaffen: Wiederholte freiwillige Leistungen sollten transparent kommuniziert und ggf. schriftlich als „freiwillig und jederzeit widerruflich“ gekennzeichnet werden. Hier kann der Personalrat auf eine entsprechende Gestaltung hinwirken.
  • Bestehende Gewohnheiten prüfen: Gibt es in Ihrer Dienststelle wiederkehrende Leistungen oder Abläufe, die nie förmlich geregelt wurden? Prüfen Sie gemeinsam mit der Dienststellenleitung, ob eine Regelung erforderlich oder möglich ist – idealerweise in Form einer Dienstvereinbarung.
  • Rechtslage im Blick behalten: Nicht jede Erwartung begründet einen Anspruch. Gerade im öffentlichen Dienst sind die Möglichkeiten zur Rechtsbindung über eine betriebliche Übung eingeschränkt. Der Personalrat sollte hier genau hinschauen.
  • Tarifliche Öffnungsklauseln nutzen: Wo der Tarifvertrag Spielräume lässt, können Personalrat und Dienststelle gemeinsam Regelungen schaffen, die verbindlich sind – und nicht auf bloßer Gewohnheit beruhen.

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Ich habe Rechtswissenschaften in München studiert und bin seit 2004 als Rechtsanwältin zugelassen. Von 2004 bis 2017 war ich Partnerin der Kanzlei Löffler & Partner in München. Seit 2017 bin […]

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