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Gewaltprävention im Betrieb – Warum das Thema jetzt auf die Agenda gehört

Beleidigungen, Bedrohungen, körperliche Übergriffe – Gewalt am Arbeitsplatz ist längst kein Randphänomen mehr, sondern für viele Kolleginnen und Kollegen Teil des Arbeitsalltags. Besonders betroffen sind Beschäftigte mit regelmäßigem Kontakt zu Kunden, Patienten oder anderen externen Personen. Eine aktuelle forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zeigt: Rund ein Drittel der Befragten mit häufigem Kundenkontakt erlebt regelmäßig verbale Übergriffe. Der folgende Artikel zeigt, wie sich Gewalt im Betrieb äußern kann, welche Auswirkungen sie auf die Kollegen und das Betriebsklima hat – und vor allem: Was Sie als Betriebsrat konkret tun können, um Gewalt vorzubeugen, Handlungskompetenz zu fördern und gemeinsam mit Ihrem Arbeitgeber eine gewaltfreie Arbeitsumgebung zu schaffen.

Brigitte Ganzmann

19.05.2025 · 3 Min Lesezeit

Wie oft gibt es Gewalttaten in Ihrem Betrieb? Haben Sie eine Kennzahl, die anzeigt, wie häufig es zu Übergriffen kommt? Wahrscheinlich nicht. Denn Gewaltvorfälle werden häufig gar nicht oder nur dann dokumentiert, wenn sie zu mehr als 3 Tagen Arbeitsunfähigkeit führen.

Wie weit verbreitet ist Gewalt am Arbeitsplatz?

Die offiziellen Statistiken der gesetzlichen Unfallversicherung erfassen jährlich zwischen 9.000 und 13.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle durch Gewalteinwirkung.

Das tatsächliche Ausmaß liegt jedoch deutlich höher – denn viele Vorfälle, insbesondere psychische Gewalt wie Spott, Bedrohung oder sexualisierte Grenzverletzungen, werden weder gemeldet noch systematisch erfasst. Nur etwa die Hälfte der Betroffenen informiert ihre Führungskraft über einen Vorfall – und lediglich 12 % zeigen ihn bei den Behörden an.

Kollegen mit Kundenkontakt besonders gefährdet

Die Ergebnisse der forsa-Umfrage unter mehr als 2.500 abhängig Beschäftigten mit Kundenkontakt zeigen deutlich:

  • 32 % berichten von Beschimpfungen oder Beleidigungen.
  • 12 % erleben Spott oder Schikanen.
  • 7 % wurden bedroht oder erpresst.
  • 6 % berichten von sexualisierter psychischer Gewalt.
  • 8 % waren im letzten Jahr körperlicher Gewalt ausgesetzt.

Hinweis: Gefährdete Branchen

Auffällig: Besonders stark betroffen sind Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen sowie in der öffentlichen Verwaltung, im Verkehr und im Handel. Frauen berichten zudem häufiger als Männer über psychische oder verbale Übergriffe.

Gegen Gewalt ist ein Kraut gewachsen

Sie als Betriebsrat können gemeinsam mit dem Arbeitgeber gezielt dagegen vorgehen – mit Präventionsmaßnahmen, klarer Haltung und wirksamen Schutzstrukturen. Die DGUV betont: Betriebe, die Gewalt nicht tolerieren und Systeme zur Meldung, Aufarbeitung und Unterstützung etablieren, können ihre Mitarbeitenden wirksam schützen – und gleichzeitig das Betriebsklima stärken.

Was ist Gewalt am Arbeitsplatz?

Gewalt kann viele Gesichter haben – und nicht alle sind sofort sichtbar.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) definiert Gewalt am Arbeitsplatz als „jede Handlung, jedes Ereignis oder Verhalten, das sich von einer Person oder Gruppe gegen eine andere richtet und dazu führt, dass diese physisch, psychisch oder emotional geschädigt, bedroht oder verletzt wird“.

Formen von Gewalt können sein:

  • physische Gewalt: Schläge, Tritte, körperliche Angriffe
  • psychische Gewalt: Bedrohungen, Einschüchterung, Erniedrigung
  • sexuelle Belästigung: anzügliche Bemerkungen, unerwünschte Nähe, Übergriffe
  • Mobbing: systematische Schikanen oder Ausgrenzung
  • Diskriminierung: aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Alter, Behinderung, Religion oder sexueller Identität

Beispiel: Gewalt kann viele Gesichter haben

Claudia ist seit 5 Jahren in einem mittelständischen Unternehmen tätig. Seitdem ein neuer Kollege in ihr Team gekommen ist, wird sie systematisch gemieden. Informationen werden nicht an sie weitergeleitet, sie wird nicht zu Besprechungen eingeladen und bei Fehlern wird sie öffentlich bloßgestellt. Die Führungskraft wiegelt ab: „Das müssen Sie untereinander klären.“ Claudia leidet zunehmend unter Schlafstörungen und zieht sich immer mehr zurück.

Ein junger Kollege in der Produktion wird regelmäßig von einem älteren Vorgesetzten eingeschüchtert – zunächst scheinbar „spaßhaft“, dann zunehmend bedrängend. Als er sich dagegen zur Wehr setzt, wird er in der Schichtplanung benachteiligt. Eine Vertrauensperson gibt es nicht – der Betriebsrat erfährt erst davon, als der Kollege kündigt.

Gewalt hat massive Folgen

Gewalt am Arbeitsplatz wirkt sich nicht nur individuell, sondern auch organisatorisch aus. Laut BAuA verursachen psychische Belastungen infolge von Gewalt erhebliche wirtschaftliche Schäden. Sie führen zu einer Zunahme von Arbeitsunfähigkeitstagen und können langfristig das Betriebsergebnis beeinträchtigen.

Neue Impulse und rechtliche Rahmenbedingungen

Die ILO hat mit dem Übereinkommen Nr. 190 ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen geschaffen, das Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt verbietet. Deutschland hat es 2023 ratifiziert – Ihr Arbeitgeber muss proaktiv gegen Gewalt vorgehen. Wichtig:

  • Gewaltprävention ist Führungsaufgabe – aber nicht nur: Alle Kollegen müssen sensibilisiert und einbezogen werden.
  • Die Organisation muss Strukturen schaffen, um Gewalt zu erkennen und zu verhindern. Je transparenter und klarer Ihr Arbeitgeber mit dem Thema umgeht, desto weniger wird es vorkommen.
  • Sie als Betriebsrat haben Mitbestimmungsrechte, u. a. bei Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG), zur Ordnung des Betriebes (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und in diesem Rahmen bei Schutzmaßnahmen.

Fazit: Sie als Betriebsrat sind ein wichtiger Faktor zur Bekämpfung von Gewalt

Sie sind hier als Interessenvertretung Ihrer Kollegen gefragt: als Sprachrohr, als Initiatoren von Schutzmaßnahmen und als Brückenbauer zu Ihrem Arbeitgeber. Bilden Sie eine Arbeitsgruppe zum Thema und erarbeiten Sie einen Handlungsleitfaden, der Gewalt durch gezielte Prävention, einen transparenten Beschwerdeprozess und konsequentes Handeln unterbindet.


Arbeitshilfen

  • Übersicht: Handlungsmöglichkeiten gegen Gewalt am Arbeitsplatz

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Ich bin seit über 15 Jahren im Bereich Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement aktiv und seit Juni 2018 Chefredakteurin von „Arbeitsschutz & Gesundheitsmanagement für Betriebs­räte“. In meinem Hauptberuf arbeite ich als systemischer […]

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