RECHT & URTEILE

Diese 3 aktuellen Urteile rund um Wegeunfälle sollten Sie als Betriebsrat kennen

Erleiden Beschäftigte auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall, sind sie über die gesetzliche Unfallversicherung versichert. Man spricht dann von einem Wegeunfall. Wann im Einzelfall aber ein Wegeunfall vorliegt, kann durchaus fraglich sein. Als Betriebsrat sollten Sie über aktuelle Urteile zu diesem Thema informiert sein, damit Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen gut unterstützen können. 3 aktuelle Entscheidungen finden Sie nachfolgend im Überblick.

Brigitte Ganzmann

22.10.2025 · 3 Min Lesezeit

1. Rückkehr vom Wochenendausflug und Wegeunfall

Der Fall: Eine Mitarbeiterin hatte einen Wochenendausflug gemacht. Am frühen Morgen des ersten Arbeitstages nach dem Wochenende fuhr sie von dort mit ihrem privaten Pkw zurück. Um Arbeitsschlüssel und Arbeitsunterlagen, die sie an dem Tag benötigte, zu holen, machte sie einen Abstecher zu ihrer Wohnung. Dabei wurde sie wenige Kilometer vor ihrem Wohnort in einen Verkehrsunfall verwickelt. Bei dem Verkehrsunfall zog sie sich schwere Verletzungen zu.

Sowohl die BG als auch das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Sie gingen davon aus, dass kein Wegeunfall vorlag.

Das Urteil: Die Richter am Bundessozialgericht (BSG) waren arbeitnehmerfreundlicher. Sie hoben das Urteil des LSG auf und verwiesen die Sache zurück an das LSG (BSG, 26.9.2024, Az. B 2 U 15/22 R). Nach Ansicht der BSG-Richter kann nämlich ein Arbeitsunfall vorliegen, wenn die Beschäftigte

  • entweder den Arbeitsschlüssel und die Arbeitsunterlagen auf Anweisung des Arbeitgebers in ihrer Wohnung deponiert hatte
  • oder der Arbeitsschlüssel und die Arbeitsunterlagen für die Aufnahme oder Durchführung ihrer Arbeit unentbehrlich waren.

Ob eine dieser beiden Voraussetzungen vorliegt, muss das LSG neu prüfen. Wenn ja, handelt es sich um einen Wegeunfall, so das BSG.

2. Scheibenreinigung gehört zum Arbeitsweg

Einer der größten Streitpunkte zwischen verletzten Beschäftigten und den BGs ist die Frage, wann eine Unterbrechung des Arbeitsweges vorliegt und ob deshalb die Anerkennung als Wegeunfall ausgeschlossen ist. Naturgemäß gehen die BGs schnell davon aus, dass der Arbeitsweg unterbrochen wurde. Schließlich müssen sie dann nicht zahlen. Die Sache ist aber nicht ganz so einfach, wie man sich das dort gelegentlich vorstellt, wie sich aus einer Entscheidung des SG Hamburg vom 20.6.2025 ergibt (Az. S 40 U140/23 D).

Der Fall: Ein Bäcker hatte sich den Finger gebrochen, als er nach dem Reinigen der Autoscheiben vor Antritt seiner Fahrt an den Arbeitsplatz über die Bordsteinkante gestolpert war. Er hielt dies für einen versicherten Arbeitsunfall (Wegeunfall) und beantragte bei der BG entsprechende Anerkennung. Diese verweigerte die Anerkennung.

Das Urteil: Das SG Hamburg entschied im Interesse des Beschäftigten. Es erkannte einen Wegeunfall an. Voraussetzung für die Anerkennung sei, dass die versicherte Haupttätigkeit und das Zurücklegen des Weges dorthin miteinander verknüpft sind. Entscheidend sei, dass der Weg mit dem Beginn oder der Beendigung der Arbeit verbunden sei. Daher sind damit Tätigkeiten wie das Reinigen der Scheiben vor Fahrtantritt Bestandteil des Arbeitsweges und somit versichert. Es bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Fahrt selbst.

Hinweis: Nicht nur Scheibenreinigung

Mit der gleichen Begründung lassen sich auch andere Tätigkeiten wie z. B. das Eiskratzen im Winter dem Arbeitsweg zuordnen.

3. Wann Tanken kein Arbeitsweg ist

Der Fall: Aber nicht jede Tätigkeit, die für die Fahrt zur Arbeit erforderlich ist, ist zwingend dem Arbeitsweg zuzuordnen. In einem Fall des LSG Baden-Württemberg fuhr eine Auszubildende morgens auf dem Weg zur Arbeit eine Tankstelle an, um ihr Motorrad zu betanken. Die Tankstelle befand sich allerdings in entgegengesetzter Richtung zu ihrem Arbeitsplatz. Auf der Fahrt zu der Tankstelle erlitt sie einen Unfall und war infolgedessen mehrere Wochen arbeitsunfähig.

Die BG lehnte die Anerkennung als Wegeunfall ab. Hiergegen klagte sie, allerdings erfolglos. Ihre Argumentation, sie habe erst am Morgen festgestellt, dass der Tank des Motorrads nahezu leer sei, half ihr nicht.

Das Urteil: Das Gericht betonte, dass es sich beim Tanken grundsätzlich um eine rein private Tätigkeit handle. Diese unterliege nicht dem gesetzlichen Schutz als Wegeunfall.

Entscheidend war, dass die Tankstelle nicht auf dem unmittelbaren Arbeitsweg, sondern in entgegengesetzter Richtung lag (LSG Baden-Württemberg, 26.9.2024, Az. 10 U 3706/21).

Fazit: Auf den Einzelfall kommt es an

Die Praxis zeigt, dass es je nach den Umständen des Einzelfalls sinnvoll sein kann, ablehnende Entscheidungen der BG gerichtlich prüfen zu lassen. Machen Sie Ihren Kollegen und Kolleginnen Mut, sich rechtlich beraten zu lassen, ggf. fristgemäß Widerspruch einzulegen und notfalls sogar zu klagen.

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Ich bin seit über 20 Jahren im Bereich Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement aktiv und seit Juni 2018 Chefredakteurin von „Arbeitsschutz & Gesundheitsmanagement für Betriebs­räte“. In meinem Hauptberuf arbeite ich als systemischer […]