WISSENSWERTES

Dienstherr*in muss auf familiäre Situation Rücksicht nehmen

Eltern behinderter Kinder haben es schwer. Denn sie und ihre Kinder werden gesellschaftlich nicht akzeptiert, sie werden von Anfang an diskriminiert und ausgeschlossen. Das fängt beim Krippenplatz an und hört bei der Schulsuche nicht auf. Denn trotz Inklusion werden Behinderte gern in Förderschulen oder ähnliche Einrichtungen verwiesen. Zusätzlich sollen die Eltern am Arbeitsplatz funktionieren, als wären sie unbelastet. Damit aber werden die Eltern noch mal mittelbar diskriminiert. Der Europäische Gerichtshof hat hier nun Gott sei Dank klare Kante gezeigt (EuGH, 11.9.2025, Az. C-38/24).

Maria Markatou

22.10.2025 · 2 Min Lesezeit

Wie ist eine mittelbare Diskriminierung rechtlich definiert?

Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen aufgrund eines geschützten Merkmals (z. B. Geschlecht, Behinderung, Alter) in besonderer Weise benachteiligen. Ausnahme: Die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

Denken Sie hier etwa an Größenregelungen. Wenn Polizeianwärter*innen z. B. mindestens 1,60 m groß sein müssen, benachteiligt dies mittelbar Frauen, die diese Größe weniger oft erreichen als Männer.

Mutter eines schwerbehinderten Kindes verlangt Planungssicherheit

Der Fall: Eine Bahnhofsmitarbeiterin in Italien arbeitet als Stationsaufsicht. Die Mitarbeiterin bat ihren Arbeitgeber mehrmals darum, sie an einem festen Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten einzusetzen. Sie muss sich um ihren schwerbehinderten, vollinvaliden Sohn kümmern. Der Arbeitgeber gewährte ihr vorläufig bestimmte Anpassungen, wollte diese aber nicht auf Dauer umsetzen. Die Mitarbeiterin klagte.

Der italienische Kassationsgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Wie wird das Unionsrecht zum Schutz vor mittelbarer Diskriminierung eines*einer Arbeitnehmenden ausgelegt, der*die sich, ohne selbst behindert zu sein, um sein*ihr schwerbehindertes minderjähriges Kind kümmert?

Dienstgebende müssen sich in Richtung der Sorgeberechtigten bewegen

Das Urteil: Die Mitarbeiterin hat hier gewonnen. Denn das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung gilt nach der Richtlinie 2000/78/EG zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf auch für eine*n Arbeitnehmer*in, der*die wegen der Unterstützung seines*ihres behinderten Kindes diskriminiert wird.

Schon im Urteil Coleman (EuGH, 17.7.2008, Az. C-303/06) hatte der EuGH entschieden, dass nach der Richtlinie eine unmittelbare „Mitdiskriminierung“ wegen einer Behinderung verboten ist. In Beschäftigung und Beruf muss jede Form der Diskriminierung wegen einer Behinderung bekämpft werden. Außerdem ist die Richtlinie im Licht des Diskriminierungsverbots, der Wahrung der Rechte der Kinder und des Rechts behinderter Personen auf Eingliederung – jeweils in der Charta der Grundrechte der EU vorgesehen – in Verbindung mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu sehen.

Daraus folgt, dass zur Wahrung der Rechte von behinderten Menschen, insbesondere Kindern, das allgemeine Diskriminierungsverbot auch die mittelbare „Mitdiskriminierung“ wegen einer Behinderung erfasst.

Arbeitgebende müssen also angemessene Vorkehrungen treffen, damit Arbeitnehmende ihren behinderten Kindern die erforderliche Unterstützung zukommen lassen können, sofern der*die Arbeitgebende dadurch nicht unverhältnismäßig belastet wird.

Stichwort für Ihre MAV-Arbeit: Fürsorgepflicht der Dienstgebenden

Leider hinkt Deutschland in Sachen Inklusion weit hinterher. In Bayern z. B. werden auch im Jahr 2025 viele Förderschulen gebaut, behinderte Kinder nicht integriert. Die Eltern müssen dies hinnehmen. Unterm Strich aber ist das Exklusion, nicht Inklusion.

Das EuGH-Urteil können Sie sehr gut im Bereich Fürsorgepflicht integrieren. Dienstgebende müssen sich auch um die körperliche und psychische Gesundheit der Beschäftigten sorgen. Dazu passt es nicht, den Eltern schwerbehinderter Kinder die Arbeit schwerzumachen. Hier tut wirklich Entlastung und Flexibilität Not.

Fazit: Nationales Gericht muss die Unverhältnismäßigkeit prüfen

Das italienische Gericht muss jetzt prüfen, ob der Arbeitgeber dauerhafte Veränderungen umsetzen muss. Sie als MAV sind auch Vertreter der Eltern schwerbehinderter Kinder in der Dienststelle. Mit dem Urteil des EuGH im Rücken können Sie sich für diese einsetzen, sie dürfen nicht mehr mittelbar diskriminiert werden. Ein Herz für ALLE Kinder, kann ich da nur sagen!

 

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Ich habe Rechtswissenschaften in München studiert und bin seit 2004 als Rechtsanwältin zugelassen. Von 2004 bis 2017 war ich Partnerin der Kanzlei Löffler & Partner in München. Seit 2017 bin […]