AUFBAUWISSEN

Auch ein Verdacht kann manchmal schon ausreichen

Vor Gericht zählen Beweise. Das ist doch eine Binsenweisheit! Kann es da sein, dass ein*e Dienstgeber*in seine*ihre Kündigung auf einen bloßen Verdacht stützen kann anstatt auf eine nachgewiesene Tat? Ja, das ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) tatsächlich möglich. Allerdings sieht das BAG durchaus die besondere Problematik einer nur auf Verdacht gestützten Kündigung und stellt daher hohe Hürden für deren Wirksamkeit auf.

Michael Tillmann

22.10.2025 · 3 Min Lesezeit

Das BAG muss aber zunächst einmal tief in die „Trickkiste“ greifen, um überhaupt eine Kündigung bei bloßem Verdacht zu rechtfertigen. Denn wenn ein*e Mitarbeiter*in nur verdächtigt wird, eine Tat begangen zu haben, aber sich in Wahrheit gar nicht so verhalten hat, wie ihm*ihr vorgeworfen wird, kann man ihm*ihr sein*ihr Verhalten nicht zum Vorwurf machen.

Das BAG greift daher auf ein „Kündigungsmodell“ zurück, das ebenso wie die verhaltensbedingte Kündigung in § 1 Kündigungsschutzgesetz geregelt ist – nämlich auf die personenbedingte Kündigung –, und überträgt dieses Modell auf § 626 Bürgerliches Gesetzbuch.

Die personenbedingte Kündigung – individuell, aber ohne Verschulden

Auch eine verhaltensbedingte Kündigung ist natürlich „mit der Person“ des*der Mitarbeitenden verknüpft. Juristisch unterscheidet man aber zwischen einer verhaltensbedingten und einer personenbedingten Kündigung.

Was ist also der Unterschied?

Bei der verhaltensbedingten Kündigung geht es um Umstände, die mit der Person zusammenhängen und von deren Willen gesteuert werden können. Wer etwa eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu spät einreicht oder zu spät zur Arbeit kommt, hat regelmäßig die Möglichkeit, ein solches Verhalten durch einen willentlichen Akt zu ändern oder von vornherein zu vermeiden.

Bei der personenbedingten Kündigung hingegen geht es um Umstände, die mit der Person zusammenhängen, aber von deren Willen dennoch nicht gesteuert werden können. Anschaulich wird dies an dem klassischen Fall der personenbedingten Kündigung, nämlich der Kündigung wegen Krankheit. Krankheit ist in aller Regel nicht vom Willen des*der Mitarbeitenden beeinflussbar. Dennoch kann eine sehr häufige oder sehr lange Krankheit – unter bestimmten Voraussetzungen – einen Kündigungsgrund darstellen.

Der Verdacht als unverschuldeter Umstand

Die Rechtsprechung wendet nun dieses Grundmodell der personenbedingten Kündigung auch auf Situationen an, in denen einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin ein schweres Fehlverhalten vorgeworfen wird, aber nicht nachgewiesen werden kann.

Dann sieht die Rechtsprechung die Situation, dass es zumindest einen Verdacht gibt, als einen Umstand an, der mit der Person objektiv in Zusammenhang steht – ohne dass es darauf ankommt, ob der*die Mitarbeitende die vorgeworfene Tat wirklich begangen hat.

Das ist natürlich ganz schön „harter Tobak“, wenn man bedenkt, dass zumindest im Strafrecht stets die Unschuldsvermutung gilt. Das sieht auch die Rechtsprechung und stellt daher ziemlich hohe Hürden für eine wirksame Verdachtskündigung auf. Es muss nämlich

  • der objektiv begründete, dringende Verdacht
  • einer Straftat oder sonstigen schweren Pflichtverletzung vorliegen,
  • den der*die Arbeitgebende auch nach zumutbaren Ermittlungen und vor allem auch einer Anhörung des*der Mitarbeitenden nicht ausräumen konnte.

Wann eine Verdachtskündigung nicht begründet ist

Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine Verdachtskündigung insbesondere in folgenden Fällen nicht begründet ist:

  1. Ein*e Dienstgeber*in hat nur einen rein subjektiven Verdacht bzw. ein „Gefühl“, dass ein*e Mitarbeiter*in „krumme Sachen“ gemacht hat.
  2. Der*Die Dienstgebende muss seinen*ihren Verdacht auf objektive Umstände stützen. Zumindest diese Indizien muss er*sie nachweisen, wenn sie vom Mitarbeiter, von der Mitarbeiterin bestritten werden. Ohne Nachweis jedenfalls der Indizien ist eine Verdachtskündigung nicht begründet.
  3. Der Verdacht muss dringend sein, das heißt, es muss sehr wahrscheinlich sein, dass die vorgeworfene Tat wirklich begangen wurde. Eine Wahrscheinlichkeit im Bereich von 50 : 50 ist nicht ausreichend.
  4. Auch wenn der*die Dienstgebende meint, er*sie habe schon mit einer ersten Verdachtsmeldung z. B. durch eine*n Kolleg*in, eine*n Kund*in oder eine*n sonstige*n Dritte*n erdrückende Beweise in der Hand, reicht das nicht aus. Er*Sie muss auf jeden Fall versuchen, den Fall so gut wie möglich aufzuklären. Dazu gehört, dass er*sie dem*der Mitarbeitenden Gelegenheit gibt, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Wenn er*sie sich nur auf seine*ihre vermeintlichen Beweise verlässt, ist eine Verdachtskündigung unwirksam. Das heißt konkret: Ohne Aufklärungsversuche und insbesondere ohne Anhörung des*der betroffenen Mitarbeitenden wäre eine Verdachtskündigung in jedem Fall unwirksam.

Allerdings kann die Kündigung dann noch als sogenannte „Tatkündigung“ wirksam sein, wenn der*die Dienstgebende vor Gericht die Vorwürfe tatsächlich in vollem Umfang nachweisen kann.

Die Verdachtskündigung kann zu eigenartigen Ergebnissen führen

Im Ergebnis führt die Rechtsprechung kurioserweise dazu, dass ein*e Mitarbeiter*in wegen einer vermeintlichen Straftat seinen*ihren Job verlieren kann, auch wenn die Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. In einem Strafverfahren wegen derselben Tat müsste er*sie hingegen aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden.

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