Von der Juristin zur Feministin: Als eine von wenigen Frauen im Jura-Studium und anschließend als eine von wenigen Anwältinnen erfuhr Barbelies Wiegmann selbst Ausgrenzung und Diskriminierung. Vor allem aber setzte sie sich von Berufs wegen mit der Rechtslage von Frauen auseinander und wurde so zur feministischen Aktivistin.
Lebenslauf
1933:
Geboren in Bonn
1952:
Aufnahme des Jura-Studiums
1963:
Niederlassung als Anwältin für Familienrecht
1973:
Mitgründung der „Bonner Blaustrümpfe“
1975:
Protestaktion zur Eröffnungsfeier des „Jahres der Frau“
1980:
Mitgründung der „Fraueninitiative 6. Oktober“
Erscheinen ihres Buches „Ende der Hausfrauenehe“
1990:
Erscheinen ihres Buches „Rechtsratgeber für Frauen“
1995:
Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen Anrechnungsmethode im Unterhaltsrecht
2017:
Gründung des „Netzwerkes Buddhismus“ in Bonn
„Wenn die Mädchen doch lieber kochen lernen würden“
1933 in Bonn geboren
Barbelies Wiegmann wurde 1933 in Bonn geboren. Ihre Mutter war – wie zur damaligen Zeit üblich – Hausfrau, ihr Vater war Jurist. Aufgewachsen ist Barbelies Wiegmann noch mit einer 13 Jahre älteren Schwester.
Obwohl oder gerade weil die Mutter dem klassischen Rollenbild entsprach, war es ihr wichtig, dass ihre Töchter einen Beruf erlernen und ausüben. „Babschen, wenn ich was gelernt hätte!“, sagte die Mutter immer wieder. „Sie war ganz daran interessiert, dass ich was lernen sollte und dass ich studieren sollte“, erinnert sich Barbelies Wiegmann.
Eine von wenigen Frauen im Jura-Studium
Nach ihrem Abitur im Jahr 1952 begann Barbelies Wiegmann, Jura zu studieren. Professoren und Kommilitonen feindeten sie – wie die anderen wenigen Studentinnen in diesem Fach – immer wieder an.
„Wir waren damals fünf Prozent Frauen im Studium. Und da weiß ich noch: Als der Professor was fragte, und ich sagte was – ich glaube, es war sogar was Lateinisches –, da dreht sich so ein Kollege um und sagte: Wenn die Mädchen doch lieber kochen lernen würden“, erzählt sie rückblickend.
Empörung gegen „unerhörte Gesetze“
Bereits als Studentin wurde Barbelies Wiegmann mit der Rechtslage von Frauen konfrontiert. Oberhaupt der Familie war der Ehemann, der über das Vermögen seiner Frau und ihre Berufstätigkeit entscheiden durfte. Im Falle einer Trennung galt das Schuldprinzip: Oftmals wurde zugunsten des Mannes entschieden, die Frau galt als schuldig und hatte dann kein Recht auf Unterhalt, keine eigenen Ersparnisse, keine Rentenansprüche und die alleinige Sorge für die Kinder.
Ihre Empörung gegen die „unerhörten Gesetze“, wie sie sagt, wuchs langsam. Sie besuchte Versammlungen des Juristinnenbundes, der sich für eine Reform des Familienrechts engagierte. Die Juristin Marie Lüders sagte bei einer solchen Veranstaltung einmal: „Wenn die Männer keine besseren Gesetze machen können, sollen sie es lassen“, erinnert sich Barbelies Wiegmann.
Engagement für Frauen im Familienrecht
Ihr eigenes Engagement für die Rechte der Frau erstarkte jedoch erst nach ihrem Studium. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie als Rechtsanwältin, ab 1963 betrieb sie eine eigene Kanzlei von zu Hause aus.
Barbelies Wiegmann spezialisierte sich auf Familienrecht. „Ich habe gemerkt, wie eigentlich die Rechtslandschaft aussah für Frauen. Vor allen Dingen bei Trennung und Scheidung, wo ich sah, dass die Frauen, die den Kindern zuliebe zu Hause geblieben waren, keinen Beruf ausgeübt oder den Beruf aufgegeben hatten, bei einer Scheidung ganz schlimm dastanden“, erklärt sie. „Ich habe mich da wirklich sehr für Frauen eingesetzt, und zwar aus vollem Herzen, weil ich das so ungerecht fand.“
Spagat zwischen Mutterrolle und Berufstätigkeit
Bereits während ihres Studiums hatte sie ihren späteren Ehemann Werner kennengelernt, der ebenfalls Jurist war und als Beamter im Ministerium für Entwicklung arbeitete. Er unterstützte seine Frau zwar in ihrer Berufstätigkeit, um die beiden gemeinsamen Kinder kümmerte sich aber größtenteils seine Frau.
„Ich glaube, ich bin zum ersten Mal wach geworden, als ich Kinder hatte und merkte: Kinder und Beruf – das geht offenbar gar nicht“, so Barbelies Wiegmann. „Dass Männer im Beruf zurückstecken, das war überhaupt noch kein Gedanke“, ordnet sie ihre familiäre Situation in den zeitlichen Kontext ein.
Gründung der „Bonner Blaustrümpfe“
Immer stärker haderte sie mit der traditionellen Frauenrolle: „Die wurmte immer mehr, und ich dachte: Wie komme ich da eigentlich raus?“ Anfang der 1970er-Jahre trat sie deshalb dem „Bonner Frauen-Forum“ bei und gründete dort 1973 gemeinsam mit der Schriftstellerin Caroline Muhr und der Musikerin Inge Latz die feministische Musikgruppe „Bonner Blaustrümpfe“.
Barbelies Wiegmann spielte bei den „Bonner Blaustrümpfen“ Gitarre und trat mit der Gruppe regelmäßig bei Frauenaktionen oder eigenen Konzerten auf. „Ja, wir sind getingelt und waren sehr begehrt“, erzählt sie. „Wirklich, das war ganz wunderbar. Weil da wirklich sehr freche Texte waren.“
Lieder wie „Der Patriarchen-Song“, „Das Lied vom Frauenhaus“ oder „Wir fahren nach Holland nicht der Tulpen wegen“ gehörten zum Repertoire der Band. „Bei den Bonner Blaustrümpfen, kann ich sagen, da bin ich als Feministin erwacht“, so Barbelies Wiegmann.
Protestaktion zum „Jahr der Frau“
Die Juristin organisierte einige Protestaktionen mit, wie eine aufsehenerregende Aktion im Jahr 1975 zum UNO-Jahr der Frau. Im offiziellen Bundesgremium, das das „Jahr der Frau“ in Deutschland organisieren sollte, waren zum großen Teil Männer. Dagegen protestierten die Feministinnen des „Bonner Frauen-Forums“, indem sie sich als Putzfrauen verkleideten und den Einmarsch zum Festakt skandierend begleiteten.
„Und abends haben die Medien nur darüber berichtet. Das fanden wir natürlich ganz toll. Und da merkten wir schon, dass sich überall im Land was tat in Sachen Frauen“, erinnert sich Barbelies Wiegmann in einem Interview.
Buch „Ende der Hausfrauenehe“
Neben ihrem Engagement als Feministin und ihrer Arbeit als Anwältin war Barbelies Wiegmann auch als Autorin tätig. Sie schrieb diverse Artikel für die Zeitschrift „EMMA“, 1980 veröffentlichte sie zudem ihr Buch „Ende der Hausfrauenehe. Plädoyer gegen eine trügerische Existenzgrundlage“.
Ebenfalls 1980 gründete sie die Fraueninitiative „6. Oktober“ mit. Die Gründerinnen zeigten damit ihre Enttäuschung darüber, dass nach der Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 erneut kaum Frauen Mitglieder der Regierung waren. Jährlich organisierte die Initiative Kongresse zu feministischen Themen.
Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht
Barbelies Wiegmann nahm als Fachfrau auch regelmäßig an Anhörungen durch Gremien (Hearings) teil und bezog zu Gesetzesvorhaben Stellung. Als Expertin war sie auch immer wieder in Talkshows zu Gast.
1995 legte die Juristin beim Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde ein und erreichte damit endlich eine Wende im Unterhaltsrecht. Das Gericht folgte Wiegmanns Argumentation und erklärte die damalige Anrechnungsmethode, die für Frauen sehr ungünstig war, als verfassungswidrig.
Ausbildung zur Mediatorin
Ihre Arbeit als Anwältin stellte Barbelies Wiegmann zunehmend zurück, weil sie sich als eine der Ersten zur Mediatorin hatte ausbilden lassen. Ende der 1990er-Jahre entschloss sie sich, ausschließlich als Mediatorin zu arbeiten, und unterstützte viele Paare und Familien, die bei einer Trennung entstehenden Konflikte fair und für beide Seiten zufriedenstellend zu lösen.
Mit anderen Mediator*innen gründete Barbelies Wiegmann zudem den „Arbeitskreis Mediation Köln-Bonn-Oberberg“, um sich immer wieder auszutauschen.
Eigene Zen-Gruppe in Bonn gegründet
Gemeinsam mit ihrem Ehemann Werner praktizierte sie eine spezielle Zen-Mediation des Buddhismus. Das Paar gründete nach vielen Jahren des Praktizierens Ende der 1990er-Jahre eine eigene Zen-Gruppe in Bonn, die sich zunächst in einem Raum der Evangelischen Studentengemeinde und seit 2001 im Haus der Wiegmanns traf. Die Gruppe existiert noch heute und trifft sich alle zwei Wochen.
Barbelies Wiegmann gründete 2017 auch das „Netzwerk Buddhismus“ in Bonn und leitete dieses bis 2021. Im August 2022 starb ihr Mann Werner im Alter von 91 Jahren. Barbelies Wiegmann lebt nach wie vor in Bonn und leitet die von ihr und ihrem Mann gegründete Zen-Gruppe.