Gleichstellung im Blick 30.04.2025

Lina Bo Bardi: Architektin für die Menschen

Persönlichkeit des Monats – Mai 2025

Lebenslauf

Datum/JahrEreignis
5.12.1914Geboren in Rom
1934–1939Architekturstudium an der Universität in Rom
1940Gründung eines Architekturbüros mit Carlo Pagani
1943Büro wird bei einem Bombenangriff zerstört
1943–1946Chefredakteurin des Fachmagazins „DOMUS“
1946Hochzeit mit Pietro Maria Bardi
1948Gründung der Firma „Studio d’Arte Palma“ mit Giancarlo Palanti
1950Gründung des Magazins „Habitat“
1951Erhalt der brasilianischen Staatsbürgerschaft
1955–1958Professur an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung an der Universität São Paulo
1959–1964Direktorin des „Museu de Arte Moderna da Bahia“
20.03.1992Gestorben in São Paulo
2021Posthume Auszeichnung mit dem „Goldenen Löwen“ der Architekturbiennale von Venedig

Mit ihren Bauwerken hat Lina Bo Bardi ein humanistisches Werk geschaffen: Sie stellte in ihrer Architektur den Menschen in den Mittelpunkt und schuf soziale Räume des Miteinanders. Dafür zählt sie inzwischen zu den bedeutendsten Architekt*innen des 20. Jahrhunderts. Deshalb und auch weil sich in einer zu ihren Lebzeiten noch von Männern dominierten Branche behauptete, ist sie für viele Frauen weltweit ein Vorbild.

Eine von wenigen Architekturstudentinnen

Achillina Bo kam am 5. Dezember 1914 in Rom zur Welt. Sie war das erstgeborene Kind von Enrico und Giovanna Bo und wurde „Lina“ gerufen. Sie wuchs mit ihrer jüngeren Schwester Graziella in Rom auf. Ab 1934 studierte sie – unterstützt von ihren Eltern – an der Universität in Rom Architektur. Sie war eine von wenigen Frauen in diesem Studiengang.

1939 machte Lina Bo ihren Hochschulabschluss und gründete im folgenden Jahr mit dem Architekten Carlo Pagani in Mailand ein eigenes Architekturbüro. Parallel arbeitete sie als Journalistin für verschiedene Kunst- und Modemagazine, darunter auch für das 1928 gegründete Architekturmagazin „DOMUS“, das bis heute herausgegeben wird. Von 1943 bis 1946 war Lina Bo Chefredakteurin des Magazins.

Folgen des Zweiten Weltkriegs hinterließen Spuren

Ihr Freund Carlo Pagani musste schon bald an die Kriegsfront, das gemeinsame Büro wurde 1943 bei einem Bombenangriff zerstört. Die Folgen des Zweiten Weltkriegs prägten ihre Arbeit, nicht nur wegen dieses persönlichen Rückschlags. 1945 reiste sie kurz nach Kriegsende durch Italien und dokumentierte für das Magazin „DOMUS“ die Zerstörungen.

Das Ausmaß der Kriegsfolgen und das menschliche Leid hinterließen Spuren bei der Architektin und weckten in ihr die Überzeugung, dass sich Architektur an politischen, sozialen und vor allem menschlichen Bedürfnissen orientieren müsse.

1946 lernte sie den vierzehn Jahre älteren Journalisten und Kunstkritiker Pietro Maria Bardi kennen. Beide verlieben sich und heiraten bereits kurze Zeit später. Die Architektin trug fortan den Doppelnamen Bo Bardi.

Auswanderung nach Brasilien

Noch im selben Jahr wanderte das Paar nach Brasilien aus, genauer nach São Paulo. „Wir realisierten, dass unser Traum eines modernen, freien Italiens bereits vorbei war. Die freien Wahlen wurden von den Christdemokraten gewonnen. Das war schrecklich, und ich beschloss, zu gehen“, begründete Lina Bo Bardi ihre Entscheidung.

Heimweh nach Italien verspürte sie nicht, sie fühlte sich mit ihrem Herkunftsland nicht mehr verbunden: „Ich erinnere mich nicht an Italien, und es interessiert mich auch nicht im Geringsten“, erzählte sie viele Jahre später in einem Interview.

Bau von privaten und öffentlichen Gebäuden

Rund zwei Jahre nach ihrer Ankunft in São Paulo gründete sie mit dem Architekten Giancarlo Palanti eine Firma für Industriedesign, das „Studio d’Arte Palma“. In den folgenden Jahren entwarf sie zahlreiche private und öffentliche Bauten.

Ihr erstes Bauprojekt war das „Casa de Vidro“, das „Glashaus“, ein Wohngebäude für ihren Mann und sich. Das Haus wurde durch eine Treppe ganz vom Boden abgehoben, wodurch es von unten betreten wurde. Dadurch erzeugte Lina Bo Bardi eine besondere Beziehung zum Standort: Das Haus stand seinerzeit in einem üppig grünen Regenwaldgebiet. Später wurde die Gegend zu einem wohlhabenden Viertel, das „Glashaus“ aber war weiterhin von Bäumen umgeben.

Die Architektin entwarf auch eine Reihe öffentlicher Gebäude, die inzwischen weit über die Landesgrenzen Brasiliens hinweg bekannt sind. Zu ihren bekanntesten Projekten zählen das „Museu de Arte de São Paulo“ (MASP) und das „SESC Fábrica da Pompeia“ in São Paulo.

Das „Museu de Arte de São Paulo“

Das MASP steht direkt an der „Avenida Paulista“, einer der größten Straßen der Stadt, und ist ein rechteckiges Gebäude, das zum größten Teil verglast ist. Getragen wird das 1968 eröffnete Museum von zwei leuchtend roten Stahlbetonträgern; das gesamte Gebäude schwebt rund zehn Meter über dem Boden.

Durch die Offenheit, die aufgrund der gläsernen Front entsteht, stellte Lina Bo Bardi die Kunstwerke, die im Inneren ausgestellt werden, in den Mittelpunkt. Der unter dem Gebäude liegende Platz ist öffentlicher Raum. Er wurde und wird regelmäßig für Veranstaltungen genutzt und dient und der Bevölkerung auch als schattiger Aufenthaltsort.

Sportzentrum „Fábrica da Pompeia“

Für das 1986 eröffnete Kultur- und Sportzentrum „SESC Fábrica da Pompeia“ in São Paulo ließ die Architektin eine ehemalige, leer stehende Fabrik umbauen. Ursprünglich sollte diese abgerissen und das Zentrum ein kompletter Neubau werden. Lina Bo Bardi setzte sich jedoch für den Erhalt des alten Gebäudes ein, um die Baukultur zu erhalten.

Sie ergänzte die ehemalige Fabrik um zwei Neubauten mit markanten Sichtbetonfassaden und Betonbrücken. In einem der beiden Türme brachte sie ein Schwimmbad und mehrere übereinander gestapelte Turnhallen unter, in dem anderen Turm die Toiletten und Umkleiden.

Die Brücken zwischen den Türmen gestaltete sie breit, damit sie als Aussichtsplattformen und Begegnungsstätten dienen konnten. Das Zentrum gilt daher als Paradebeispiel für gelebte an Menschen und Gemeinschaft orientierte Architektur.

Mix aus Tradition und Moderne

Für ihre Bauwerke verwendete die Architektin häufig natürliche Materialien wie Lehm, Kiesel und Keramik und kombinierte sie mit kräftigen Farben und großen Glasfenstern. Auf diese Weise brachte sie Modernität und brasilianische Tradition zusammen.

Sie stellte in ihren Arbeiten den Menschen in den Mittelpunkt, schuf gesellschaftliche Räume und wollte den Gemeinschaftssinn fördern. Die architektonischen Details entwarf sie stets gemeinsam mit den Bauarbeitern vor Ort.

Besonders wichtig waren ihr soziale Wohnungsbauprojekte und öffentliche Räume. Es war ihr ein Anliegen, gute Architektur allen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen und nicht nur zweckdienliche, sondern auch schöne und inspirierende Gebäude zu schaffen. Ihre architektonischen Überzeugungen sind von ihren politischen nicht zu trennen.

Designerin, Dozentin und Journalistin

Lina Bo Bardi arbeitete nicht nur als Architektin. Sie war auch Möbeldesignerin, Dozentin und Journalistin, sie kuratierte Ausstellungen, sie entwarf Bühnenbilder und Kostüme.

1950 gründete sie mit ihrem Mann das Magazin „Habitat“, das das Paar vier Jahre lang herausgab. 1955 erhielt sie eine Professur an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Universität von São Paulo.

1958 zog Lina Bo Bardi nach San Salvador de Bahia und wurde am dortigen „Museu de Arte Moderna da Bahia“ Direktorin. 1964 kehrte sie nach São Paulo zurück.

Posthume Auszeichnung für ihr Lebenswerk

Am 20. März 1992 starb Lina Bo Bardi in ihrem „Gläsernen Haus“ an einer Lungenembolie.

Zu Lebzeiten hatte sie für ihre bedeutenden Arbeiten nie eine Ehrung erhalten, ihre Werke blieben außerhalb Brasiliens weitestgehend unbekannt. Das änderte sich erst in den letzten Jahren. 2021 erhielt sie deshalb posthum den „Goldenen Löwen“ der Architekturbiennale von Venedig für ihr Lebenswerk.